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Soundtracks der Wochen 19/2002 bis 52/2002

 

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Soundtrack der Woche.
52_2002

The Libertines Up the Bracket

The Libertines

[Stefan] Englische Musikpresse, geh mir bitte auf den Sack. Jubele doch weiterhin jede Woche eine neue Band in den Rockhimmel. Die neuen Beatles. Die neuen Nirvana. Die neuen wasauchimmer. Dieses Mal: The Libertines. Nenne sie doch einfach die neuen The Clash. Würde doch passen. Pete Doherty ist der neue Joe Strummer. Und Carl Barât ist der neue Mick Jones. Beide singen und spielen Gitarre. Genauso wie ihre "Vorgänger".

Und um noch besser zu lernen, wie man ein ordentliches Punk-Album macht, haben sie sich sogar Mick Jones persönlich ins Boot geholt. Zum Produzieren des Albums. Und liebe Musikpresse, das haben sie ja auch mit "Up The Bracket" gemacht. Nach vorne. Auf die Zwölf. Aber nicht nur.

Mit "Boys In The Band" war sogar noch ein Kinks-mäßiges Stück drin. Und eine Lo-Fi-Nummer namens "Radio America". Aber das man nicht immer nur rocken kann, wußten The Clash ja auch. Ach ja, die Jungs wissen übrigens auch, wie man Rock'n'Roll lebt. Gibt bestimmt ein paar tolle Schlagzeilen. Wie zum Beispiel: Pete hat Angst vor seiner Exfreundin. Weil eigentlich sie den Text zu "Horrorshow" geschrieben hat und nun mit Klage droht. Oder der Rausschmiß des Tourmanagers. Der war zu "streng", konnte die Drogenfrauengewaltexzesse der Band nicht mehr ertragen.

Dass er die "Strokes" im Vergleich als "pussycats" bezeichnete, hilft bestimmt auch noch ein Exemplar mehr abzusetzen. Und in einer Live-Kritik könntest du schreiben, daß die Band mal knapp mehr als eine halbe Stunde spielt. Und keine Zugaben. Das ist Punk, Mann. Laß dir die Haare schneiden.

Man könnte, liebe Presse, allerdings auch versuchen, das alles zu vergessen. So von wegen Musik zählt. Ohne Vorurteile und Kategorisierungen. Dann würden vielleicht einige Leute mehr bemerken, daß hinter alledem ein großartiges Debütalbum namens "Up The Bracket" steht. Das ist sogar so gut, daß ich der Band empfehlen würde, sich jetzt aufzulösen. Am besten von innen implodieren. Denn meiner Meinung nach kann hiernach nichts besseres mehr von den Jungs kommen. Right time, right place. Wenn noch was kommt, dann vielleicht höchstens ein relativ überflüssiges Dreifachalbum wie bei The Clash.

Wenn dich dieser letzte schwachsinnige Vergleich glücklich macht, liebe Presse. Aber falls es doch zum zweiten Album kommt, dann wirst du, liebe englische Musikpresse, bestimmt beim Verreißen und Totschreiben helfen. Oder?


 

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Soundtrack der Woche.
49_2002

Johnny Cash The Man Comes Around

Cash is around

[Hardy] Vero hat gesagt, man könne sich gern über die Cash-Platte verbreiten, ohne was Besonderes von Cash im Speziellen oder Country im Allgemeinen zu verstehen. Das deckt sich mehr als zufällig mit dem Inhalt des Meisterwerks: Man muss nicht Country oder Cash mögen, um "The Man Comes Around" für Wochen gut zu finden. Gemacht. Auf zur werkimmanenten Kritik: Johnny Cash erleben, irgendwie. Meine Premiere.

Auf "The Man Comes Around" haut Johnny Cash (den ständig als "The Man" zu paraphrasieren ich übrigens rotzalbern finde) mit Granitstimme Songs in den Fels, die man vorher bestenfalls für Edelmetall, möglicherweise aber auch für verderblichen Kunststoff halten hätte können, aber sicher nicht für Stein. Elf Songs sind Coverversionen, vier von Cash selbst. Und sicher wäre es am besten, erstmal nicht auf die Tracklist zu schauen und sich dann die Augen zu reiben, wessen Klassiker man denn da grade gehört hat. Alle Songs klingen so, als könnten, als müssten sie von Johnny Cash selbst sein. Sind nicht. Sind sie doch.

Der überraschendste Track auf Cashs Best-of-Coverscheibe wäre so eine Edelmatall-oder-Plastik-Frage gewesen: "Hurt" von Nine Inch Nails. Vorher. Jetzt ist der Song in Stein gehauen. Kann sowas gehen? Ich weiß nichts über Johnny Cashs Arbeitsweise, kann sie mir aber nur mit einerseits sehr feinfühligem und andererseits sehr produktivem Experimentieren erklären. Eine heiser gelaufene Industrial-Stampfmaschine aus der eigenwilligen Gitarrenschale zu pulen, die feinen Linien im Metall zu suchen und zu finden, dann akustisch den Wall of Sound als kleine, feine Sandburg nachzubauen und daraus dann doch wieder ein paar überraschende Ohrensauser losfliegen zu lassen: Das ist mehr als Können oder Größe. Das ist perfekt.

Cash hat mit Rick Rubin, dem Produzenten der "American Recordings"-Serie (deren vierter Teil "The Man Comes Around" ist) den Deal, dass er alles aufnehmen kann, was immer er will. Dabei sind sicher auch eine Menge Songs, die nie eine Rille von innen erblicken werden. Schon deswegen ist das, was auf die Platte kam, perfekt. Zumindest die Coverversionen, um Cashs eigene Stücke wird es noch später gehen. Erst muss ein Wort fallen zu "Personal Jesus", Liebling aller staunenden Musikjournalisten und Anwärter auf zahllose Heavy Rotations. Wie man aus einem Klassiker einen Klassiker machen kann, das erlebt man nur manchmal, zuletzt erinnere ich mich vielleicht an "This Corrosion" von  Lambchop oder Heather Novas "I'm on Fire". Und jetzt Depeche Mode.

Reach out and touch faith: Nie hat Cash irgendwas anderes gemacht. Old-fashioned Rock-Pop mit Klavier und muffled Gitarre. So leicht und lebendig wirkt die Nummer, dass man sicher sein will, es mit Jugenderinnerungen des alten Herrn zu tun zu haben. Und genau so erinnert sich Cash auch an seine Jugend mit den Beatles und Nine Inch Nails. Die Gitarre als Zeitmaschine: Cash ist siebzig, Paul Mc Cartney sechzig, Martin Gore einundvierzig, Trent Reznor siebenunddreißig. Wer wen in seiner Jugend gehört hat, die Frage ist überflüssig, und wahrscheinlich fanden ja alle Cash, Debüt 1957, scheiße. Aber jetzt wird Cash wird wieder jung, vielleicht jünger, als er je war, so jung, wie die Musik, die er spielt. Dieser große Teil der Platte ist über jeden Zweifel erhaben, ist alleine jede Verehrung wert.

Auf der anderen Hälfte der Platte covert Cash sich selber. Ist so lonesome he could cry (halt, das war natürlich auch wieder von jemand anderem, nämlich dem Countryspezi Hank Williams, dem Älteren). Das Klavier steht im Saloon, die Gitarre liegt auf dem Schoß, die Griffhand legt sich beim Refrain an den Cowboyhut. Alles da, wo es hingehört, schön und gut und eine Entdeckung wert. Trotzdem kein Kandidat für eine Heavy Rotation oder glänzende Augen eines Musikredakteurs bei irgend einem europäischen Sender. Und dann aber: "The Man Comes Around".

There's a man going round, taking names
And he decides who to free and who to blame
Everybody won't be treated all the same
There'll be a golden ladder reaching down
When the man comes around.

Da wandert der staubige Cowboy Cash in die andere Richtung. Nicht zürück zur Jugend, sondern nach vorn in den Tod. "I spent more time on this song than any I ever wrote", schreibt Cash in den Linernotes. Und dann fängt die bewegte, brüchige bedrohliche Stimme das Erzählen an. Cashs Seele. Er ist der Jüngste Tag. Er ist der brennende Dornbusch.

Eine ganze Seite im Booklet erzählt nur über den Song, worüber er handelt, wie er entstanden ist. Die hätte es gar nicht gebraucht. Countrymusik: per se jene Musik, die man auch ohne Sekundärliteratur versteht. Wahrscheinlich selten, dass es trotzdem darin was zu verstehen gibt. I focus on the pain, the only thing that's real, I will make you hurt. Harter Stoff, Johnny. It hurts.


 

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Soundtrack der Woche.
48_2002

Kristofer Åström & Hidden Truck "Leaving Songs"

Leaving Songs

[Stefan] Vor einem guten halben Jahr habe ich eine Platte sehr oft gehört. "Northern Blues" hieß die. Gemacht von einem Schweden namens Kristofer Åström. Eigentlich sei der ja Frontmann von Fireside, einer Post-Hardcore-Band oder so. Hatte man mir gesagt.

Ich war sehr verliebt. Zu dem Zeitpunkt. Auch in die Platte. Und in ein Mädchen, das die Platte auch sehr mochte. I gotta start believing that you really love me. Das war meine Lieblingstextzeile. Ich dachte sie mag mich auch. Dann hätte dies unser Album werden können. Wenn nicht das Konzert des Herrn Åström gewesen wäre. Und sie mir dort gesagt hätte, daß wir gerne weiterhin Freunde sein könnten. Mehr aber nicht.

Und jetzt schon wieder ein neues Album von diesem Schweden. Frei nach dem Motto: Nach dem Album ist vor dem Album. Und das heißt zu allem Überfluss auch noch "Leaving Songs". Wie soll man sich da verhalten? Soll man dieses Werk ignorieren? Von wegen schlechter Erinnerungen und so? Und überhaupt: Ist mehr als ein Album pro Jahr von einem Künstler, den man mag, nicht genug?

Die Antwort auf die letzten drei Fragen: Nein. Denn dieses Album brauche ich trotz allem. Und die Erklärung für das rasche Nachlegen folgt im Booklet. Denn vier der zwölf Lieder auf "Leaving Songs" sind das Ergebnis einer Nachtsession Anfang 2001. Kristofer und sein Bandkollege Jari hatten sich in dessen Haus auf dem Land einen Kasten Bier hingestellt, und plötzlich waren siebzehn Songs auf dem Vierspurrekorder gelandet. Man bemerke in den letzten zwei Sätzen die Worte: Nacht, Bier, Land. Traurige Lieder vorprogrammiert. Ach ja, die anderen Songs wurden dann innerhalb von zwei Tagen in einem Stockholmer Studio aufgenommen. Und die werden nun quasi dem regulären Album nachgeschoben.

Der kurzen Entstehungsdauer entsprechend sind die Songs spartanischer und kürzer ausgefallen als auf dem "Vorgänger". Mich stört das nicht. Denn: Post-Hardcore, oder was auch immer hin oder her - Aström ist ein großartiger Songwriter. Da braucht es auch nicht viel drumrum. Und so gilt: Ein Mann, eine Gitarre, manchmal eine Mundharmonika so wie bei "Who". Fast gespenstische Ruhe kehrt bei "The Drive" ein. Steal your daddy's car, drive me down to the water. Und nach diesem emotionalen Tiefpunkt hauen er und seine Begleitband mit "Without Your Love" wieder so eine traurige Banjo-Akkordeon-Schunkelnummer raus, für die ich schon "Northern Blues" so geliebt habe.

Und so sitze ich in meinem novemberkalten Zimmer und höre das Album. Denn dies ist Kammermusik im besten Sinne. Gemacht zum warten auf den Winter. Und das nächste Frühjahr. Die nächste Liebe. Das nächste Album von Kristofer Aström. Neue Songs hat er schon. Nach dem Album ist vor dem Album.


 

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Soundtrack der Woche.
46_2002

Westbam I am a Bassliner

Westfalia Bambaata

[Dirk] Eine Platte - ein Konzept. DJ Westbam: I am a Bassliner. Vielleicht neben Mix up von Jeff Mills der große DJ-Mix, der auf einem Tonträger veröffentlicht wurde. 20 Tracks verbunden durch ein gemeinsames Moment: Die Bassline. Langsam läuft sie an, wird schneller von Track zu Track. 20 Stück - 60 Minuten.


Westbam ist der Bassline DJ. Schon immer gewesen und immer geblieben. Das verlangt eiserne Disziplin, kein Ruckeln und Zuckeln, präzise zieht die Nadel ihre Bahn durch das Vinyl.

"Record Art, kurz gesagt, ein Komponieren neuer Stücke anhand vorhandener Platten. Die einzige mir bekannte Record Art Aufnahme , die als Platte zu haben ist: DJ Africa Bambaataa live /Death mix). Von mir gibt es einige Live-Mitschnitte auf Tape."
(Westbam: Was ist Record Art? 1985)

Die Achtziger. Bei Westbam immer präsent und doch nicht da, weil in neuem Gewande. Record Art. Der DJ spielt die Platten so, wie er sie hören will, nicht die Tracks spielen den DJ. So ergibt sich auch die Auswahl der Tracks. Vom Irak bis zu Giorgio Moroder's Sound of Munich.

"DJ Purismus. Meine Vorstellung von DJ Purismus läuft aber eigentlich genau auf das Gegenteil hinaus, weil ich mich um den Kern des Wesens auf das DJing bemühe. Dieser Kern besteht für mich gerade darin, Gegensätzliches zu verbinden, in einem Mix. Und ist der Versuch, aus ganz verschiedenen musikalischen Bedeutungen und aus ganz verschiedenen Richtungen, aus verschiedenen Tempi und aus verschiedenen musikalischen Konzepten einen Mix zu bilden und einen musikalischen Kontext mit Leuten herzustellen. Und je extremer das gelingt, desto puristischer ist das Werk, im Sinne des DJ Purismus."
(Westbam, Goetz: Mix, Cuts & Scratches . 1997)

Westbam ist der Schelm unter den DJs. Bei jeder Aktion an den Turntables ist sein Augenzwinkern allgegenwärtig. Manchmal lache ich, manchmal denke ich nach - im Rhythmus der Bassline.

Mehr gibt es nicht zu sagen, nur zu hören.


(Falls doch: Mehr über Westfalia Bambaata auf  Laut.de.

Und: "Jetzt geht es wieder um einen Gegenentwurf. Es geht um DJ-Musik und in gewisser Weise um Techno, aber auch um Schönheit und Zeitlosigkeit." Die  Westbam Website.)

 

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Soundtrack der Woche.
44_2002

Benjamin Biolay Rose Kennedy

benjamin biolay

[Vero] Benjamin Biolay wird als Held der neuen französischen Popmusik gefeiert. Und wir sprechen von Pop nicht deshalb, weil wir ein Popalbum vor uns liegen haben. Wir sprechen von Pop, weil Biolay nicht Brel ist. Ein französischer Songwriter unserer Zeit hat es nicht leicht. Er kann vom Geruch amerikanischer Tankstellen singen - ein Sujet, das an Roadmovies erinnern lässt - und was wir riechen, ist Paris. Der französische Songwriter möchte ein leises Album produzieren - und was dabei herauskommt, ist nun mal Chanson.

Benjamin Biolay hat das Schweindl gewählt. Farbe: Blau-weiß-rot. Sie singen französisch? Ja. Sie verwenden nur akustische Gitarren, keine E-Gitarren? Meistens ja. Sie singen über die Abgründe menschlicher Existenz? Ja. Sie sind starker Raucher? Ja. Ihr Sound ist nicht mit elektronischen Beats unterlegt? Richtig. Sie sind Chansonsänger? Und an dieser Stelle wird Biolay zögern. Denn wenn von Chanson gesprochen wird, dann sieht man den leibhaftigen Jacques Brel vor sich und gleichzeitig macht uns Edith Piaf als Diven-Pendant die Aufwartung.

"Rose Kennedy", das Biolay-Album, hat Eigenheiten. Der Sound ist aufwändig - zeitgemäß aufwändig. Es gibt sie auch auf diesem Album - die Samples und E-Gitarren-Riffs. Selten bekommt man aber ein Album in die Hand, in dem jede stilunspezifische Eigenheit so dezent gehandhabt wird. Vielleicht ist das französische Noblesse, die spätestens bei diesem Album in der Musik greift. Brel und Piaf waren Sänger. Punkt. Biolay ist Sänger, Musiker und Produzent. Und das ist der kleine feine Unterschied. Über dieser Basis sammelt sich alles - was es zugegeben ohne Brel und Piaf nicht im französischen Sinne gegeben hätte.

Melancholischer, abgeklärter Bohémistengesang, ein bisschen Jazz, fette Streicherarrangements und ein entscheidender Vorteil, den der Rest Europas und Amerikas noch immer nicht begriffen hat: die Fähigkeit, melancholische Triolen spielen zu können. Hurra! Zwei Hits sind auch noch drauf und - man staune, da gibt's dann auch mal einen strahlenden Bläsersatz. Aber wir wollen es mit dem Optimismus nicht übertreiben, selbstverständlich steht dieser Song in Moll, für den bevorstehenden Winter also geradezu ideal. Depressiv werden wir jetzt eh alle wieder. Ich spreche dem Album von Benjamin Biolay "Rose Kennedy" an dieser Stelle seine Tauglichkeit zum Wintersoundtrack 2002 aus. Auf in die One-man-show, in der immerhin Stirnbandträger und Heizkissen-User unser Herz erfreuen werden.

 

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Soundtrack der Woche.
38_2002

Justus Köhncke Was ist Musik

be just be justus

[Stefan] Da ist kein Anfang und kein Ende mehr. Heißt es im Titelstück "Was ist Musik" des neuen Albums von Justus Köhncke. Raumzeitlosigkeit. Ein Irgendwo im Nirgendwo. Ein Singen, ein Schweben im Raum. Vor einem völligen Versinken im Sound wird nur derjenige gerettet, der das Doppelvinyl besitzt und zwischendurch an seinem Plattenspieler rumfummeln muß. Nach einem ersten Kopfschütteln und selbigen wieder frei machen, stellen sich Fragen. Was ist Musik nun eigentlich?

Es gibt Anhaltspunkte. Zunächst gibt es drei Coverversionen auf dem Album. Von Barbara Morgenstern, der Berliner Elektronikerin, von Jürgen Paape, einem Labelkollegen von Kompakt, und von der Münchner Freiheit. Und damit ist der Raum doch eingegrenzt. Avantgardeelektronik, German House und Mainstream-Pop. Allerdings gibt es hier kein Nebeneinander, sondern Übertragungen. Vom einen auf das andere. Du bist nicht allein. Niemand ist es. Denn Köhncke führt nicht nur Musikstile zusammen.

Der zweiter Anhaltspunkt ist ein rein subjektiver. Aber trotzdem notwendig zum Verständnis. Dieses Album ist nämlich definitiv Sommer. Mögen auch manche dunkle Elektronikmomente in "Übertragungen" und "Illusion" vorhanden sein. Hier ist Licht, Transparenz, ein Schillern. Oder auch einfach gute Laune und Spaß. Love Is In The Air.

An jenen Disco-Klassiker von John Paul Young erinnert das letzte Stück "Soweit wie noch nie". Und hier klärt sich dann sowieso alles auf: "Wir fahren so weit wie noch nie. Wir jagen die Monotonie." Köhncke weiß, wohin er will und was diese Musik ist. Ein weites Hinauslehnen nämlich. Ein Barrieren einreißen. Ein Tritt in den Hintern aller Leute, die sich schämen, Kylie Minogue oder Sophie Ellis-Bextor gut zu finden. Eine kleine Revolution. Und extrem tanzbar ist sie sowieso.

 

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Soundtrack der Woche.
36_2002

Soul Jazz Records Hustle Reggae Disco

reggae's got a soul

[Hardy] Sie hat mich hinein begleitet, und jetzt begleitet sie mich während des Draußenseins. Geschmiedet mit Zungen und großer Liebe zum Subjekt Soul. Move That Tongue. Schwarze Musik, die wir vergaßen hinter Clubtüren, welche wir leider nie geöffnet haben. Wir waren zu jung. Jetzt, heute, dürfen wir's hören. In weiblichem Vortrag, massiven Sex eröffnend, den wir nie ahnten. Wir wussten ja nicht.

Kann ein Sampler eine Seele haben? Ich stelle mir diesen vor wie ein (zufällig 16-stöckiges) Hochhaus, außen weiß, mit vielen Fenstern, manche davon erleuchtet, früh abends. Wie ein Fensterputzeraufzug gleitet die Seele an der Hauswand entlang, frei nach oben und nach unten. Und die eckig steinige Architektur der späten Siebziger Jahre, in denen das - sicherlich bis vor kurzem als geschmacklos gewürdigte - Hochhaus erbaut wurde, erstrahlt neu im schmutzigen Weiß, das sich aus den subtilen Farben aller Fenster mischt.

Blood Sisters - Ring My Bell Denn sieh durch das Fenster in der unteren Mitte des Hauses traurige Menschen treiben durch einen hellen, leeren Gang. Derrick Laro and Trinity - Don't Stop Till You Get Enough Sieh die gleichen Menschen in einer schmutzig weißen Tür lehnen, gelassen eine Party feiernd, die nie begann und die nie endet. Virtuelle Cocktails in Badewannen. Latisha - I'm Every Woman Sieh die überaus elegante Putzfrau sich ziehen lassen vom überdimensionierten, überaus eleganten Staubsauger, ganz aus Chrom. Black Harmony - Don't Let It Go To Your Head Hör den Sekretärinnen aus dem Großraumbüro zu beim Verschütten ihrer Kaffees.

Greif an dieser Stelle zum amerikanisch aussehenden und klingelnden  Tastentelefon. Frag nach bei der Auskunft. Lass es dir bestätigen: All das war mal von Anita Ward, Michael Jackson, Chaka Khan, Jean Carn. Und Diana Ross und die Sugarhill Gang lauern noch.

Denn höre staunend aus einem geschlossenen, braun furnierten Konferenzzimmer Family Choice - Reggae Beat Goes On. Werde an dieser Stelle nicht nachlässig. Gehe links um die Ecke, in den Aufzug. Fahr runter in den einst verbotenen Club im Keller des weißen Hauses, wo man aus der Schallplattensammlung bei den seit 1979 nicht mehr benutzten Plattentellern  Xanadu & Sweet Lady - Rapper's Delight (Real Audio) gezogen hat. Jetzt bist Du reif für die Kirsche im Cocktail. Fahr ganz nach oben, wo Carol Cool - Upside Down singt. - Nein, tu es nicht. Du wirst es vermissen, sobald es vorbei ist. Nur von fern hörst du aus einer neonhellen Teeküche, tief im Bauch des Hauses, One Blood - Be Thankful. Du bist es. Sei zufrieden.

Warum die Compilation "Hustle - Reggae Disco" heißt? Kann man an manchen Stücken nachvollziehen, für manche andere klang der Name "Soul Disco" wohl etwas zu  nah und fern zugleich. Anyway. Kann ein Hochhaus eine Seele haben? Insbes. vor bzw. nach dem Mon. Sept.? Mein weißes Hochhaus hat sie Tag und Nacht, solange diese Platte läuft. Mein Hochhaus ist Sampler ist Soul. Es wurde Ende der Siebziger Jahre aus kantigen, schmutzig weißen Steinen erbaut. Es wusste ja nicht. Es war zu jung.

 

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Soundtrack der Woche.
29_2002

Michael Hurley Sweetkorn

hurley countryman

[VeraNico] Leute, die auf Country oder Blues stehen, sind zu 70% Alkoholiker. Ich sag' euch - da ist was Wahres dran. Die 30%, die es nicht sind, stehen in einer gesunden Tradition, die sich aus "Catcher in the Rye" und Kerouacs "On the Road", aus einer frühmusikalischen Prägung durch Bob Dylan, Townes van Zandt und Muddy Waters zusammensetzt. Die 70 % ergeben sich aus denen, die Country erst seit dem Siebzigsten von Johnny Cash anhören und deren Sinnfragen weder von den Weichspülern des Britpop noch von den Wannabes des "Emo"-Core beantwortet werden.

In vino veritas- irgendwann zieht man sich halt mal die erste Scheibe, dann, wenn Freund/in einen verlassen hat, dann, wenn der Großstadtkoller kommt, dann, wenn eh alles zu spät ist und nicht mehr gepusht, sondern lamentiert werden soll. Der Seele geht einer ab und Männer werden zu echten Männern, die sich in verbaler Pathetik suhlen. Ich kann's ja verstehen- hab' ich mich doch selbst vor Jahren an der blondierten Countryschlampe Tammy Wynett ergötzt.

Solche Gedanken sind vor einem Kauf der neuen Hurley Platte immens wichtig. Nicht jedem ist Hurley seit 1964 ein Begriff. In diesem Jahr begann die Karriere des damals Dreiundzwanzigjährigen, der in diesem Jahr in der Carnegie Hall beim Singer-Songwriterabend seinen ersten öffentlich Auftritt mit Buffy St.Marie, Johnny Cash, Jimmie Driftwood, Chuck Berry und Muddy Waters über die Bühne brachte. "Sweetkorn" ist Michael Hurley's zwölftes Album und vermittelt das, was man von einem 62jährigen hören möchte- Anekdoten, kleine Weisheiten und musikalische Souveränität.

Das Album ist ein Zwitterwerk zwischen Country und Blues. Das ist genau das, was am meisten beeindruckt. Du bekommst einen Song, der nur mit Banjo und Bass gespielt wird, und der ist so country, das es countrier nicht mehr geht, und der nächste Song ist so was von philigran arrangiert, dass man es kaum glauben möchte. In dem Moment weiß ich, warum ich Michael Hurley mag. Die Geige wird nicht zum Streicherarrangement, sondern begleitet exakt die Melodie vom Gesang, ab und an spielt 'ne Oboe, aber nicht besonders rausgehoben, und das Klavier ist unaufdringlich. Kein Instrument avanciert zum großen Act.

Dazu überschlägt Hurleys Stimme so, dass er, wäre er Bayer, einen verdammt geilen Jodelburschen abgeben würde. Vielleicht ereilt ihn ja noch ein Schicksal wie Louie Austen bei Kitty-Yo und wir sehen Hurley bald mal als Interpret der Neuen Volxmusik, als Pendant zum Berlin Pop - Trikont macht es sicher möglich.

Ich würde empfehlen, den Abend mit St.Thomas und dem Jim Wayne Swingtett zu beginnen- dann Michael Hurley, und dann vielleicht - Johnny Cash.

 

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Soundtrack der Woche.
28_2002

WinMX The Retter of our Dreams

new love

[Hardy] Mein Soundtrack der Woche ist unendlich lang. Er ist von unendlich vielen Musikern eingespielt und er trägt unendlich viele Namen. Er läuft tags und nachts, und er zieht viele Menschen an, die auch seine Freunde sind und die sich mit den anderen Hörern verbrüdern. Ich dachte nicht, dass ich in so kurzer Zeit ein Fan von ihm werden könnte.

Mein Soundtrack heißt WinMX, und er existiert physikalisch als eine der zahllosen Musiktauschbörsen, die sich das Internet zu Nutze machen. Mein Soundtrack hat mich nicht von der ersten Minute an begeistert, weil ich mein altes CD-Regal namens Audiogalaxy so sehr vermisst habe (und immer noch vermisse). Aber aus Neugier habe ich in seine Tiefen hinein gehört und festgestellt, dass es mir dort gefällt.

WinMX ist wie ein Flohmarkt, im Vergleich zu Audiogalaxy, das wie ein Quelle-Katalog war. Dort fand man wirklich alles, was man suchte, hier findet man nun vieles, was man nie gesucht hätte. Mein neuer Soundtrack ist keine umfassende Galaxie mehr, die jeden entlegenen Artikel führt, sondern ein Basar mit großem Angebot und vielen Schnäppchen. Es ist schön, nicht immer vorher wissen zu müssen, wonach man sucht.

In der vergangenen Woche sind musikalische Ereignisse zu mir gesickert, nach denen ich nie selbst geforscht hätte. Das Cinematic Orchestra ist eines der ganz großen, auch Mojave 3 und Sigur Ros. Dazu ein paar kleine Fundstücke: der süße E-pop von Hooverphonic, der Neo-Funk von Kerphunk, die warmen Clicks von Farben. Das Größte aber sind die Sachen, die man schon immer haben wollte, wovor man im Laden aus irgend einem Grund aber nie stand: das Beinahe-Gesamtwerk von Soulwax, die Besten von Jazzanova, die neue Oasis-Platte oder ein dicker Vorrat von der Dave Matthews Band. Ergänzung. Kein Ersatz.

Mit Worten und Namen lässt sich schwer beschreiben, welche faszinierenden Nachmittage und Nächte mir mein Soundtrack in dieser Woche bereitet hat. Er macht es mir möglich, assoziativ Musik zu hören. Innerhalb von WinMX funktioniert das, indem man beim Up- oder Download eines interessanten Tracks den Vorrat des Gegenübers durchstöbert, wo sich fast immer noch mehr spannende Dinge finden. Oder mit den Beinahe-Treffern, dem Remix vorher unbekannter durch bereits bekannte Musiker. Oder mit den kleinen Nachrichten an andere geschmackvolle Nutzer, mit denen man Empfehlungen aus dem eigenen Sortiment austauscht.

Ein wenig klingt das immer noch wie kleinbürgerlicher Sparzwang. Mir ersetzt mein neuer Dauer-Soundtrack aber keine echte Platte. Mich lässt er fast ohne Anstrengung nach oben schwimmen, auf jede Welle, die ich hören will, die im bunten Wust eines Ladens nicht fände und die auch aus den Plattenregalen von Plattenfreunden aus Behäbigkeit manchmal nicht hervorrollen will. Mir gibt er Ideen, Staunen, Spannung - und Kaufimpulse. Platten sind durch nichts zu ersetzen.

Genau wie das WWW keine Zeitung, kein Radio und kein Fernsehen obsolet gemacht hat, ist elektronisch komprimierte und individuell weiter verbreitete Musik kein Substitut für eine reale CD, sondern eine Erweiterung des bestehenden Systems. Die Tiefe dieses Angebots stellt eine völlig neue Dimension dar, so wie zum Beispiel das WWW gegenüber einem Zeitungskiosk. Auch am Kiosk kann man zu Tausenden Themen Informationen finden. Aber nicht aus Millionen verschiedener Quellen, und nicht immer dann, wenn man sie sich wünscht. Im WWW oder im Peer-to-Peer-Netzwerk muss der, der richtig sucht, sich außerdem nicht von buntem Themen-, Meinungs- oder eben Musik-Marketing blenden lassen. Ein Treffer hat immer die gleiche Farbe, und Britney ist bei WinMX genauso laut wie Isan und Decomposed Subsonic. Wir bestimmen selber, was wir hören. Majors, macht Euch nicht soviel Sorgen: 90 Prozent der akustisch beschallten Bevölkerung will das sowieso nicht. Ich will es.


Links und Facts

Der nette Basar:  WinMX
Checken wies geht:  FAQ,  FAQ und  FAQ
Der Goldene Reiter ist böse auf uns:  Interview
Janis Ian mag uns:  Aufsatz


Die aktuelle De:Bug AUsgabe 61 bewertet 26 Tauschbörsen und denkt ausführlich über die Implikationen des Musiktauschens im Internet nach (Artikel noch nicht online, sondern nur am Kiosk). Für Musiktausch am besten weg kommen:  WinMX,  Hotline,  Limewire/Gnutella und  Soulseek, welch letztere eine sehr geschmackvolle und feine Community von Freunden elektronischer Musik sei. Das wird sich Plattenfreund Hardy demnächst auch mal anschauen.

Wohl nicht anschauen wird Hardy sich  Kazaa. Das hat nichts mit der Nutzerbasis zu tun, die ist riesengroß, sonden mit der Client-Software: Nicht nur bringt sie das aggressivste Maß an so genannter Spyware mit, also Software, die die Nutzer zu Werbezwecken ausspioniert (kriegt man mit  AdAware wieder weg), sondern der Client ist laut De:Bug auch am bescheuertsten in der Konfiguration - und so passierts es vielen Nutzern, dass sie mal eben ihre ganze Festplatte zum Tausch freigeben. Muss ja nicht sein. Gibt Besseres. WinMX ist Spyware-frei und gibt nur Ordner frei, denen man das ausdrücklich erlaubt hat.

Generell verlässt man mit den aktuellen Tauschbörsen, die ja alle universell sind (d.h. jede Form von Dateien tauschen), den kuschligen Musikantenstadl des Typs Audiogalaxy. Das bedeutet einerseits weniger Auswahl an extravaganten Musiktiteln, dafür ein größeres Sortiment an Mainstream-Musik; zum anderen weilt man dort stets in der Reichweite von Film- (natürlich auch Fickfilm-), Software- und Bilderjägern. Manchmal trifft man deswegen in diesen Etablissements auf prollige Mitmenschen, aber es sind - so zumindest meine Erfahrung mit WinMX - noch immer viele Menschen mit gutem Musikgeschmack und sehr kooperativer Freundlichkeit online.

 

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Soundtrack der Woche.
27_2002

Eminem The Eminem Show

white trash asshole

[Daniel] Eminems neueste Platte steht bereits seit einigen Wochen in den Läden, die Fachmedien und alle die sich dazu zählen haben sich bereits ausführlich das Maul darüber zerissen, und die Plattenfreunde nehmen sich erst jetzt diesem Phänomen an? Haben wir etwa verschlafen? Besitzen wir einen Eminem-Filter? Finden wir die Platte etwa dermaßen schlecht, dass wir sie keiner Erwähnung würdigen wollten?

Im Rolling Stone beteuert Eminem standhaft, keinen Psychologen zu benötigen, während Lars Brinkmann in der Spex ihm im Gegenzug mit den freundlichen Worten "Hasch mich Schizo" geradezu die größte Ehrdarbietung erweist, die man Eminem überhaupt entgegenbringen kann. Es ist beileibe nicht Neues, dass Marshall Mathers sowohl mit seiner Musik als auch mit seinem Auftreten sowohl Journalisten als auch die Fans dieser Welt mit schöner Regelmäßigkeit vor den kurz rasierten und blond gefärbten Kopf stößt und sie verwirrt. Auch das ist nichts Neues, und wurde schon von tausenden Menschen vor mir herausgearbeitet.

Was aber anfangs als absolut rohe und schockierende Artikulation eines talentierten aber unpriviligierten Vorstadtprolls aufgefasst wurde, hat sich zu Eminems eigenen - und mittlerweile allerorts akzeptierten und respektierten - künstlerischen Stilmittel entwickelt. Und das ohne sein eigenes Zutun. Und so ist es als bizarre Metamorphose medialer Verwurstung zu betrachten, dass sein harmloser Moby-Diss und die fadenscheinigen Al-Quaida Morddrohungen dankbar aufgegriffen werden, während seine Tiraden gegen George Bush, T(r)ipper Gore, Kim Mathers usw. beinahe unreflektiert und ungehört die Kameras, Mikrofone und PC-Tastaturen passieren. Medienschaffende dieser Welt, seid ehrlich: das goldene Skandalkalb Eminem hat an Durchschlagskraft verloren und ihr seid schuld daran.

Seid ihr zu dumm, oder gar zu faul, die Texte zu lesen? Auch zwischen den Zeilen? Überfordert euch zugekoksten Journalistennasen etwa der Redeschwall eines Rappers? Kommt schon, ihr erfindet die tollsten Sachen, und hier seid ihr am Ende mit eurem Latein? Peinlich! Was soll dieser Mann denn noch tun um eure Sensationslust zu befriedigen? Einen flotten Dreier mit Christina Aguilera und Britney Spears? Seine Mutter und Exfrau erschießen? Oder sich als Präsident der Vereinigten Staaten bewerben? Na? Das täte weh, oder?

Aber bei allem Boulevardjournalismusposergehabe bleibt festzuhalten, dass wir es hier mit einem Künstler zu tun haben, der sich langsam aber sicher eine Machtposition erarbeitet hat die dem eines heimlichen Präsidenten gleichkommt. Und Eminem kann dazu noch gerade Sätze bilden. Er ist eine echte Gefahr für die Demokratie ... genau! Aber er macht ja eigentlich nur Musik. Produziert sie mittlerweile sogar selber. Tut somit, was er will. Und er bringt die Medienwelt dazu, auch das zu tun, was er will. Die vermeintliche Narrenkappe, die er sich als Rapboy zum Spaß aufsetzt, ist nichts als geschickte Tarnung. Eminem will die Welt übernehmen, und er ist gerade dabei, alles aus dem Weg zu räumen, was ihn stören könnte. Die Medien hat er schon im Sack. Schämt euch!


 

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Soundtrack der Woche.
25_2002

Tocotronic Tocotronic

toco

[Hardy] Vielleicht heute mal ein Tocotronic-Aufsatz ohne Textzitat. Vielleicht mal kein tastendes Zurücklehnen auf die Worte, die man für groß hält, obwohl auch heute noch ungewiss ist, wie sie wirklich gemeint sind. Vielleicht stattdessen ein Blick von außen, so subjektiv wie ein Tocotronic-Lied. Vielleicht etwas mehr Naivität und etwas weniger Diskurs. Vielleicht einfach eine gute neue Platte.

Ein "White Album" und eine Wende, eine Abkehr von den Slogans, Posterhelden ohne politische Attitüde: Was man alles sagen kann und will über das neue Ding, es ist alles wahr. "This Boy is Tocotronic". Was sonst. Schon immer war die Band mehr als ein gelungener T-Shirt-Spruch, bediente instinktiv ganz viele: die auf der Suche nach Figuren zur Identifikation, jene mit dem Hang zur Affirmation, der textuellen Einkleidung eigener Lebensumstände in Zeilenform, solche, die gute Rockmusik mit deutschem Gesang schätzen, und auch die Discodiskutierer, denen Tocotronic den Oberbegriff für die "neue" bodennahe Popmusik lieferte und die Überschriften fürs Feuilleton gleich mit.

Warum sollte eine Band all das wollen? Bassist Jan Müller im  Zündfunk-Interview:

"Viele Leute denken da auch zu viel mit dem Kopf. So wie ich die Texte von Dirk erlebt habe, sind die einfach sofort ans Herz gegangen. Vielleicht wird da einfach zu viel dahinter vermutet oder mit so einer Haltung herangegangen: Jetzt muss erst einmal die Sekundärliteratur abgearbeitet werden. Aber das muss nicht sein, glaube ich."

Scheiß auf deutsche Texte. Würde die neue Platte komplett auf mongolisch besungen, würde sie auch funktionieren. Anders, aber ähnlich. Man darf ja nicht vergessen: Tocotronic macht auch sehr ansprechende Musik. Und die ist in Kooperation mit dem Gehör dafür  zuständig, wie wir uns fühlen. Nichts sonst. Die gedruckten Zeilen im Booklet schlürfen wir hinterher auf als eine Reflexionsebene, die uns rational beweisen soll, warum wir uns beim Hören irgendwie und soundso gefühlt haben.

Ein Booklet gibt es bei diesem Album zum ersten Mal. Vielleicht ist das den lyrischeren Texten geschuldet, die nun nicht mehr geradeheraus den Zustand des/der [bitte Subjekt einsetzen] beklagen bzw. belobigen, sondern dem Hörer eine Reise auf Umwegen anbieten, die auch unterwegs viel zu schön ist, als dass man ständig nach dem Ziel fragen sollte. Dirk von Lowtzow:

"Wir wollten ja nicht hermetisch sein, sondern es soll sich den Hörerinnen und Hörern schon mitteilen und am besten wäre es, wenn das ganz leicht gehen würde. Für uns sind die Sachen einfach nicht so abstrakt oder schwierig."

Für mich waren die alten Texte abstrakter und schwieriger als die neuen, weil ich auf der Suche nach dem Hintersinn ihre Direktheit oft nicht verstanden habe, weil sich ihre Kunst beim kritischen Zuhören manchmal schwer erschließt, weil sie zu subjektiv waren. Ohne am dreistirnigen Denkmal kratzen zu wollen: Ein wenig Leidensfähigkeit gehörte oft dazu, Tocotronic zu hören.

Jetzt ist das alles anders, die Musik könnte auf jedem beliebigen Radiosender der Republik formatkompatibel heavyrotieren. Trotzdem zeigt der Blick auf die Charts, eine Woche nach der Veröffentlichung, dem verwunderten Gesicht keinen Platz für Tocotronic in den LP-Top-20. Vielleicht wurden die Sportfreunde dreister, die Sterne hoffnungsvoller gehyped, vielleicht ist das einstweilige Fehlen eines solchen Hypes bei Tocotronic ein weiteres sympathisches Signal. Wobei es ausgerechnet diesem Album sehr zu wünschen wäre, dass es gekauft wird. Es ist Opium fürs Volk. Es eignet sich in seiner sanften Mystik und bestimmten Zurückhaltung sehr viel besser zum Religionsgegenstand als die älteren Alben. Die sind Agitation und Propaganda, dieses hier ist eher eine Bibel. Alles steht drin, man muss es nur suchen und finden.

Das Prädikat "Revolutionär" wird dem Opus aus dem o.g. Grund also verweigert. Es wird sich von selbst so ins Plattenregal stellen, als sei es schon immer dagewesen. Und natürlich wird es uns beleuchten mit jenem Licht, das wir gerne von ihm ausgestrahlt sehen wollen. Deutungsreserven finden sich auch in diesem Album. "This Boy is tocotronic". This Boy ist alles und nichts zugleich. Wunderschön.


Also doch:  Affirmatives Nachlesen
Weißt Du noch:  Kollektives Erinnern
Live-Schock:  Gut produzierte Denkmäler singen hören
(Audiogalaxy Satellite erforderlich)

 

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Soundtrack der Woche.
23_2002

Wilco Yankee Hotel Foxtrot

wilco

[Stefan] I am trying to break your heart. So heißt das erste Lied auf dem neuen Album von Wilco. Das knüpft doch thematisch perfekt an das letzte Album "Summer Teeth" mit seinen beatlesken, vor Schönheit strotzenden, meistens traurigen Liebesliedern an. Könnte man meinen.

Aber bevor Jeff Tweedy das erste Mal seine Stimme erhebt, vergeht über eine Minute. Seltsame Schwebesounds, ein schepperndes Schlagzeug. Eine Ballade, eine klassische Melodie. Kein Zweifel, das hier ist Wilco. Dann aber ein unharmonisch klimperndes Piano und wieder diese Störgeräusche. Im Booklet steht, daß Jim O`Rourke hier seine Finger im Spiel hatte, abgemischt hat der das ganze. Eine Erklärung für den Sound, vielleicht.

Und schon wieder auf dem falschen Fuß erwischt. Kamera heißt der zweite Song, etwas mehr Tempo, das klingt nach Altbewährtem. Das war wohl das, was auf ihren früheren Alben mit Americana bezeichnet wurde. Bis die Xylophone einsetzen. Mein Gott. Sie spielen ein Spiel. Sie wollen verwirren.

Das Spiel setzt sich über das ganze Album fort. Scheinbar Unvereinbares steht wie selbstverständlich nebeneinander. Altbewährte Wilco-Melodien bekommen ein neues, fast an Radiohead oder Grandaddy erinnerndes Soundgewand wie bei "War On War". Unaufdringliche kleine elektronische Strukturen werden im folkigen "Jesus, etc." eingebaut, diese treffen auf Geigen und die altbekannte Lap Steel. Aber der Grundton ist doch wenigstens durchgehend moll. Könnte man bis jetzt meinen. Pustekuchen. "Heavy Metal Drummer" in der Mitte des Albums belehrt uns eines Besseren. Ein Sommer-Hit. Und dann noch "I'm The Man Who Loves You", ein lockerer Pop-Song mit Bluesgitarre und Bläsersätzen. Also doch keine Trauerklöße an der Arbeit hier.

Mehr Überraschungen bietet das Album das Album nicht, aber mit "Poor Places" und "Reservations" noch zwei wunderschöne Songs. Nach knapp über fünfzig Minuten findet sich immer noch keine Erklärung für dieses Album. Von woher kamen diese Sounds, diese Melodien? Wiederhören und nochmal hören und nochmal. Die Antwort muß zu finden sein.


 

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Soundtrack der Woche.
21_2002

Suguru Kusumi Manual Music

suguru, die sau

[otto] The next big thing from Japan? Das ist Suguru Kusumi sicher nicht. Und das ist auch gut so. Denn er braucht das Große sicherlich nicht. Nichteinmal beim Produzieren seiner Mukke. Ein 16TR Sequenzer und einige Floppy Disks reichen da vollkommen aus. "Manual Music" eben. Nicht mehr und nicht weniger.
Mit präziser Handarbeit führt er dann auch die Soundarchitektur aus, mit der er sein House hochmauert. Gerade, klar und immer an der richtigen Stelle mit den nötigen Nuancen verschönert. Das kommt ungefähr so rüber wie schöne Haikus mitten im Telefonbuch. Da sprechen die Stimmen in einem Track schonmal TwinPeaks-haft rückwärts oder summen die japanischen Blöcklöten hypnotisch vor sich hin.

Und alles im Beat. So dass man während des Tanzens sicher lächeln muss, wenn sich der Track so umstülpt und man sich genauso gut hinsetzten könnte, um einfach zu lauschen. Press Repeat, please.

Typisch japanisch ist das aber nicht, genauso wie ein Gitarrensolo in einem Clubtrack nicht typisch Daft Punk sein muss. Sein darf. Suguru versteht seine Musik zurecht als universelle Sprache, die seiner Meinung nach eine 63 jährige Dame genauso gut machen könnte. Der Herr Kusumi ist jetzt 22. Ich bin gespannt auf die nächsten 41 Jahre.

 

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Soundtrack der Woche.
19_2002

Tresor True Spirit

tresor

[Dirk] Der Tresor befindet sich in der Wilhelmstraße, einen kurzen Fußweg südöstlich vom Potsdamer Platz. Die Bundesrepublik Deutschland hat ihm gegenüber den Bundesrat errichtet, ein staatsgewaltiges Gebäude ohne architektonische Extravaganzen: Wenn sich Freitag morgens einer der 16 Ministerpräsidenten, sagen wir: der aus Baden - Württemberg, zur Bundesratssitzung begibt, stellt er rechten Auges schnell fest, dass es in Berlin außer Staatsgebäuden nicht etwa Reihenhäuser gibt, sondern Staubhalden, aus denen sich alte Betonklötze erheben.
Haben sich die Herren der hohen Politik und mit ihnen der Tag verabschiedet, erwacht im Schatten der Nacht das Leben auf der anderen Straßenseite. Die Scheinwerfer des Betonklotzes stellen den Bundesrat in ein anderes Licht.

Junge Leute in schwarzen und grauen Plastiktextilien betreten das alte Fabrikgebäude. Dort empfängt sie der hohe weit ausgeleuchtete Globusraum. Hier sammelt sich seit gut zehn Jahren die Arbeiterklasse des House. Damit sind nicht die zahllosen an der Bar stehenden oder tanzenden Technoiden gemeint, sondern die konzentriert auf das Paar Technics blickenden DJs. Nicht eklektische Houseschreie ertönen, sondern dumpfe runde Beats - Scratches durchzucken den Tanzbeat.


An den Globus schließt sich ein gewirr kleiner Gänge und Bars an, verschachtelte Rückzugsräume. Eine Treppe führt in den Keller des Gebäudes. Dort hängt die Decke tief über den Köpfen. An den Wänden stehen enge, konzentrationslagerähnliche Aufbewahrungen, in denen sich chillliges und fertiges Gelichter rührt. Du näherst Dich Absperrgittern und der namensgebenen Panzertür, dem Herz des Gebäudes. Im Tresorraum ist jede körperlich oder geistige oder intellektuelle Orientierung verloren. Nicht nur die clubtypische Enge der Körper - die Schallwellen allein scheinen den Körper zusammenzupressen. Der Sauerstoffgehalt ist mangels Lüftungswege bedrohlich niedrig und der Schweiß regnet buchstäblich in dicken Tropfen von der Decke. Hier schreibt man Techno nie anders als mit zwei KK. Noch ausgeprägter als im Globus gibt es Musik die im Tresor gespielt wird, und andere eben nicht.

Das Ureigene des Tresors ist sicherlich der industrielle Klang. Die Klangfarbe ist weder trancegelb noch ambientblau, sondern maschinenschwarz. Die Töne sägen an den Nerven, sie treiben den Körper an, sie durchschlagen jeden innern und äußeren Widerstand.


Im Tresor ist der Beat nie aus dem Rhythmus gekommen. Vorankommen, ein Schlag nach dem anderen, das war immer wichtiger, als stolpern, kurzfristig explodieren oder gar eine Pause zu machen. Im Tresor spielen nur Puristen - mögen andere Berliner fröhlich auf Elektropop umsteigen, gar eine Band mit Gitarren und Electroloops gründen oder mit Hiphop-MCs kooperieren. Denn nicht Independent, Pop oder Hiphop sollen befruchtet werden, hier wird Techno wöchentlich neu geschmiedet.

Der industrielle Klang, der konsequente Beat und der Purismus waren nicht nur Garant gegen die vielbeklagte Kommerzialisierung, sondern meißeln den eigenen Standpunkt der Tresor-DJs von Wochenende zu Wochenende neu in den Beton. Die jede intellektuell Distanz nehmende Unmittelbarkeit von Musik, Ort und Geschehen hat es vielen nie leicht gemacht, sich auf Techno einzulassen - gerade wie er im Tresor gelebt wird.

Wer anläßlich des zehnjährigen Labeljubiläums und der Unbeirrbarkeit der clubeigenen Strategie glaubt, das letzte Stampfen eines Dinosauriers zu hören, täuscht sich. Hier war und ist Deutschlands Schnittpunkt zum Ostküstentechno und -house. Jeff Mills Gastspiele und das hauseigene Label machten Underground Resistance, aus der schwarzen, linksradikalen Detroiter Szene stammend, überhaupt erst bekannt und zu den einflußreichsten Musikern der Technoszene. Seitdem haben zahllose Amerikaner ihre Platten in die Wilhelmstraße getragen und mit Berliner DJs ausgetauscht.


All das wird auf "True Spirit" dokumentiert. 3 CDs mit 39 Tracks aus 13 Jahren Clubgeschichte, aufwändig verpackt. True Spirit hätte als Plattentitel den Nagel auf den Kopf getroffen, wäre der Begriff in der Technoszene nicht längst zum Sanktnimmerleinstag verbraucht. Wer den Tresorkatalog bereits besitzt, braucht einen Labelrückblick sicher nicht. Wer Techno nicht kennt, kann mit 10 Jahren Verspätung auf Klang- und Beat Entdeckungsreise gehen. Wer einmal im Tresor war, braucht bloß laut genug aufzudrehen und warten, bis der Schweiß aus den Poren strömt.

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Kontakt:   Hardy Röde   Elsenheimer Str. 24   D-80687 München   Tel 089/578 68 220   Fax 578 68 222   e-Mail: hardy@plattenfreun.de